Es gibt ein Gespäch, das ich in Deutschland immer wieder führe. Sie findet statt, wenn jemand mich neu kennenlernt. Das ist mein typisches Partygespräch.
Sobald ich meine Herkunft erwähne, geht es los:
„Ach, du kommst gar nicht aus Deutschland?“
„Nein, ich bin vor zehn Jahren hierhergekommen.“
„Aber du sprichst so gut Deutsch! Ich hätte es gar nicht gemerkt.“ (Mit dem Ton eines Kompliments)
„Ich weiß..“ *sigh* „Ich bin einfach talentiert in Sprachen.“
„Nein, aber im ernst, du hast doch gar kein Akzent. Das ist ja total irre. Ich hätte gedacht, dass du Deutsch bist.“
*Augenrollen* „Ja, ich weiß…“
Es ist nicht, dass ich nicht dankbar bin für das wohlmeinende Kompliment zu meiner Aussprache. Derjenige kann außerdem nicht wissen, wie oft ich dieses Gespräch schon geführt habe. Nur, es findet oft ein anderes interessantes Phänomen statt, kurz nachdem ich mich „oute“ als Kanadierin: Die Leute fangen plötzlich an, meinen Akzent wahrzunehmen.
„Ach, jetzt höre ich das!“ sagen sie dann, und das zeigt mir, dass das Nicht Wahrnehmen von meinem Akzent nicht nur mit meiner lobenswerten Aussprache zu tun hat, sondern meine Fehler wurden vorher einfach ausgeblendet. Sie wurden nicht gehört.
Und das, ich bin davon überzeugt, hat etwas mit meinem Aussehen zu tun. Ich passe optisch gut in das Bild „Deutsch,“ die meine (weißen) Gesprächspartner im Kopf haben. Dadurch werde ich unterbewusst in die Kategorie „Deutsche“ geschoben und der Rest wird einfach überhört. Das, wofür ich Komplimente bekomme (dieses bewundernde „Ich hätte das gar nicht gemerkt“) hat nicht nur mit meiner sprachlichen Leistung zu tun, sondern mit äußerlichen Merkmalen, über die ich keinen Einfluss habe. Mir wird eine priviligierte Stellung in dieser Gesellschaft von vorne rein angeboten, ohne meine Identität zu hinterfragen.
Das hat mit Rassismus zu tun, weil ich hier positive „Punkte“ gewinne, nur wegen meines weißen Aussehens, die ich nicht verdient habe. Ich werde akzieptiert in den Club, sozusagen, obwohl ich viel kürzere Zeit hier lebe als viele, die noch mit Ausgrenzung zu kämpfen haben. Dies kann ich sogar auf der behördlichen Ebene feststellen, wo ich oft recht fahrlässig mit meinem Aufenthaltsrecht umgegangen bin (Arroganz einer weißen Person mit kanadischem Reisepass: „Was sollen sie tun? Mich abschieben?“). Mein Vergehen wurde einfach übersehen und meinen Aufenthalt mit einem Lächeln weiter genehmigt. Ich bekomme in Deutschland die Botschaft, „du gehörst hierher!“ Das nennt man White Priviledge.
Ich fühle mich unwohl mit diesen Partykomplimenten, weil sie ein Zeichen von unterbewussten, rassistischen Wahrnehmungsmuster sind – und ich soll mich darüber freuen. Meistens spreche ich das an,- „Ich glaube du hättest meinen Akzent viel eher gehört, wenn ich anders aussehen würde“ – doch dies wird schnell geleugnet. Das kann ich verstehen. Wir lernen, Rassismus als individuelle Eigenschaft zu begreifen, etwas, was man einfach entscheiden kann, auszuschalten. „Rassisten“ sind schlechte Menschen, und immer andere Menschen als wir selber. Doch Rassismus ist vielmehr ein Geflecht von unterbewussten Wahrnehmungsmuster, verankert im kollektiven Gedächtnis. Sie sind veknüpft mit blitzschnellen Urteilen, die gefällt werden, ohne das wir es einmal merken. Rassismus führt dazu, dass wir alles eher sehen, hören, und fühlen, was in unsere vorgefertigten Muster passt und das was nicht passt einfach ausblenden. Rassismus ist ein Teil des Unterbewusstseins und tief eingekratzt im europäischen Weltbild. Man kann nicht einfach entscheiden, ihn auszuschalten.
Es lohnt sich, zweimal nachzudenken, warum wir eine Person sehen, wie wir sie sehen. Wenn eine Begegnung oder Situation deine Vorurteile zu bestätigen erscheint, frag nach: „was gibt es hier noch zu sehen?“ Eins bin ich mir sicher, kein Mensch ist nur die Eigenschaften, die seiner Gruppe zugeschrieben werden. Rassistische Denkmuster leiten unsere Wahrnehmung zu oberflächlichen Kriterien der Differenz. Es ist unser Job, sie umzuleiten – auf die Eigenschaften, die wir nicht erwartet haben, auf überraschende Facetten, auf berührende Gemeinsamkeiten. Vielleicht ist die deutsche Akademikerin vor dir heimlich eine kanadische „prairie girl.“ Vielleicht bieten uns Menschen mehr zu entdecken an, als wir jemals begreifen können. Vielleicht ist das Nicht-Verstehen der erste Schritt dazu, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.
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